Im Streichelanthro

oder
endlich eine moderne, zukunftsorientierte Gesellschaft

Unsere gesellschaftlichen Strukturen sind im Fluss und auch unsere persönlichen Beziehun­gen haben oft mit persönlichen Bindungen nicht mehr viel gemeinsam. Dabei ist es nur na­türlich, dass vieles noch unausgegoren ist und Althergebrachtes mit Fortschrittlichem sich kaum verträgt und somit riesige Lücken in unseren Spielräumen klaffen, weiße Flecken, in de­nen wir uns (noch) nicht bewegen dürfen oder können.

Wohl nirgends wird das so deutlich wie beim Umgang mit unseren Jüngsten, wo schleunigst neue Methoden und Strukturen geschaffen werden sollten, um uns Erwachsenen Zwangsja­cken zu nehmen, die vielen doch psychisch schwer zu schaffen machen.

Zwar schufen unsere Gesetzgeber bereits vor geraumer Zeit die segensreiche Einrichtung des Rechts auf Adoptionsfreigabe. Eltern konnten also binnen Wochen den Abstand zur ihren Sprösslingen auf Unendlich setzen und sich danach weit weniger belastet ihrer Selbstver­wirklichung oder dem Gestalten ihrer ganz individuellen Lebensmodelle widmen. Auch den derart freigesetzten Kindern wurde dabei oft ein großer Dienst erwiesen, waren sie zumin­dest nicht Erwachsenen ausgesetzt, die sich von der Pflege ihres Nachwuchses überfordert oder gestört fühlten. Doch brauchen wir nicht auch weniger gewissensbelastende Arten der Kindsentfernung?

Vermögende Kindererzeuger hatten und haben von jeher die Möglichkeit, den Abstand zu ih­rem Nachwuchs weitaus flexibler zu regeln: Dienstpersonal wurde eingestellt, von der Amme bis zum Hauslehrer. Damit konnten die Eltern von Fall zu Fall, ja von Minute zu Minute ent­scheiden, wieviel Anwesenheit ihrer Kinder sie sich genehmigen oder auch zumuten wollten. Wenige – vielleicht von gesteigertem Verantwortungsbewusstsein geplagte – Väter und Mütter mögen dabei auch die Dosis an Anwesenheit und Einfluss gesteuert haben, die sie ihren Kindern zu­muten wollten. Diese Eltern wussten um ihren eigenen Schwächen und damit auch, wann Schonung angezeigt war.

Als dann 1780 in Straubing der erste Kindergarten seinen Betrieb aufnahm, war der Weg vor­gezeichnet, auf dem mehr und mehr sich Fortpflanzende die erschwingliche Möglichkeit be­kamen, weniger einschneidende Kindsentfernungen vorzunehmen, als es die bloße Freigabe zur Adoption bot. Man konnte die Kinder nun stunden- oder halbtagsweise loswerden und sie dabei unter – schlechter oder besser geschulter – Aufsicht wissen und dies in der Hoffnung, dass der Nachwuchs auch noch irgendetwas Brauchbares beigebracht bekommt. Dabei stand in christlich geprägten Gesellschaften vor allem das Vierte Gebot als Lehrstoff für die Klei­nen in hohem Kurs.

Dennoch griff und greift das kindergärtliche Dienstleistungsangebot beim Flexibilisieren der Gesellschaft immer noch zu kurz. Das sieht man an Formulierungen wie "mein Sohn", "meine Tochter" oder "meine Kinder". Geradezu verlogen klingt dabei "meine Eltern", weil praktisch inhaltsleer, wenn die meisten Zuwendungen für die Kinder in Zeit, Menge und Inhalt eben gerade nicht von den Eltern kommen. Aus dem Verkehrsgeschehen als Kostenfaktor mit seinen ungeheuren Umweltbelastungen wissen wir seit geraumer Zeit, dass das Mieten von Fahrzeugen auf Zeit die bessere und auch für die Verkehrsteilnehmer wirtschaftlichere Lösung wäre, die allerdings auf hohe psychologische und von geschicktem Marketing errichtete Barrieren stößt. Was wir also brauchen, sind in der Flexibilität mit der Miete vergleichbare Formen der Erwachsenen-Kind-Beziehung, welche die Lücke zwischen der Adopti­onsfreigabe und der strikt häuslichen Erziehung füllen.

Nun gab es vor weit über 3000 Jahren schon bei den chinesischen Xia- und Zhou-Dynastien die ersten bekannten zoologischen Gärten, ein Modell, was sich bis heute erfolgreich gehal­ten hat: wir interessieren uns für Getier, möchten es aber möglichst nicht bei uns im Heim haben, also gehen wir es auf Zeit besichtigen, füttern es sogar, schießen Fotos, drehen Videos und sind die Tiere danach wieder los. Für diesen Luxus zahlen wir auch gern Eintritt, kaufen Lose, die Zoos zu unterstützen. Warum also nicht – human angepasst – anthro­pologische Gärten errichten und gestalten, kurz Anthro genannt? Wir schaffen die gesetz­lichen Voraussetzungen, erweitern das Adoptionsgesetz um die Möglichkeit "Freigabe für den Anthro" und bilden Profis aus, die – zumindest für die erste Besiedlung dieser Gärten – für die dort lebenden und sich entwickelnden Kinder optimale Bedingungen schaffen. Bestechend dabei: der Betreuernachwuchs kann bald aus den Anthro-Kindern gebildet werden, die nach 18 Jahren Aufenthalt in ihrer Heimstatt sicher über wertvolle Erfahrungen verfügen, die den nächsten Bewohnern nützlich sein werden.

Die Anthros werden nichts weniger als Gefängnisse sein, die Bewohner dürfen sich natürlich altersangemessen frei bewegen und mit Erreichen der Volljährigkeit ihren Garten auch pro­blemlos für immer verlassen. Es wird Privatzonen geben, von Besucheraugen und -ohren ge­schützt, aber eben auch die wichtigen Begegnungszonen, wo die Anthro-Kinder ungestört von zahlenden Besuchern beobachtet werden können. Und es wird den Streichelanthro ge­ben, wo unter fachgerechter Aufsicht gespielt, kommuniziert und gefüttert werden darf. Die Nahrungsmittel werden in Dosis und Qualität von der Anthroeinrichtung bereitgestellt und verkauft. Um stets genügend Kinder für die Anthros zu bekommen, sollte ein Anreiz geschaf­fen werden, dass für Anthros freigebende Eltern auf Lebzeit gratis Zutritt zu allen Anthros im Lande bekommen.

Erweist sich das Anthromodell als tragfähig, auch wirtschaftlich, kann an einer weiteren Be­ziehungsform gearbeitet werden: die Kindermiete. Erwachsende können dann nach Art des Führerscheins in verschiedenen Klassen die AKH-Befähigung erwerben. (AKH = Artgerechte Kinder-Haltung). Diese Klassen sind nach Kindesalter und Mietdauer zu gliedern. Je nach nachgewiesener Klasse dürfen sich dann Erwachsene auf Zeit genau ihren Kinderwunsch er­füllen. Den Kindern ist hierbei – ganz im Sinn der UNO-Konvention – ein Vetorecht einzuräu­men, die letzte Entscheidung, ob das Mietverhältnis zustande kommt, wird also beim Kind liegen. Damit sind auch nur Kinder vermietfähig, die ihre Vertragszustimmung klar aus­drücken können. Über die Mietgebühren sollten sich die Anthros nach und nach selbst finan­zieren und damit den Staatshaushalt nicht übermäßig belasten. Adoptionsverfahren im her­kömmlichen Sinne fallen dann weg, denn wer anstandslos eine Gesamtkindsmietdauer von zwölf Monaten absolviert hat, wird damit ein qualifiziertes Adoptionsrecht erwerben.

Es ist höchste Zeit, diese modernen anthropologischen Gärten zu errichten, denn sowohl Er­wachsene als auch Kinder sowie die gesamte Gesellschaft können dabei nur gewinnen.

Gewinn für die Erwachsenen: unendlich mehr Freiheit bei der Gestaltung ihrer Fort­pflanzungsbemühungen, bessere Lernerfahrungen für den Umgang mit Kindern und völlig neuartiger Freizeitspaß.

Gewinn für die Kinder: kein ständig drückender Einfluss von Vater und/oder Mutter, die mit ihren Überzeugungen und vorgefassten Meinungen ihren Kindern viele Chan­cen verschließen; frühzeitiges Erfassen und Erlernen von zwar flüchtigen, aber eben vielen, reichhaltigen, modernen Beziehungen, was bereits in frü­hen Jahren einen gewaltiger Erfahrungsschatz bringt.

Gewinn für die Gesellschaft: eine heranwachsende Generation mit einer nur minima­len Belastung an Vorgefasstem, die allen Strömungen von der gleichgeschlechtlichen Mormonen-Vielmännerei über die traditionelle Mutter-Vater-Kind-Familie bis zum klösterlichen Zölibat offen gegenübersteht und demnach in einer echten De­mokratie Politikern und Propagandisten völlig neuer Lebensmodelle endlich auch ihre verdiente Chance geben wird.

© 2014 Frank-Michael Fischer m@aha.ovh